Von grauen Damen und neuen Ufern
Damals, zu Studentenzeiten, gehörte der Samstagmorgen für mich zu den echten Höhepunkten der Woche. Samstagmorgen nämlich hieß: ausgiebiges, bis in die Mittagsstunden zelebriertes Frühstück. Ausgiebig sowohl was den Kaffeekonsum, als auch was die Zeitungslektüre anbetraf.
Damals, als die Namen der Zeitungen noch groß und echte Namen waren, damals, als das Lesen der FAZ noch ein politisches Bekenntnis war, ebenso wie die Lektüre der Frankfurter Rundschau ein politisches Gegenbekenntnis, damals gab es auf dem deutschen Zeitungsmarkt rund 600 Zeitungen. Rund 250 mehr als heute. Ob es dadurch damals auch mehr Meinungs- und Informationsvielfalt gab, das wage ich heute zu bezweifeln. Mir jedenfalls reichten am Samstagmorgen meist vier oder fünf Zeitungen: Nachrichten aus aller Welt, Kommentare verschiedener politischer Richtungen, Hintergrundberichte, Reportagen, Feuilleton und ein bisschen Klatsch und Lokales. Ich vermisse keins der eingestampften, wegrationalisierten oder in überregionalen Ausgaben aufgegangenen Blätter. Schließlich gibt es sie ja noch, die großen, die bedeutenden Zeitungen: die „Süddeutsche Zeitung“, die „Welt“, die „Financial Times Deutschland“ und natürlich auch eine der bedeutendsten Zeitungen der Welt, um nicht zu sagen: die Zeitung schlechthin, die „New York Times“. Diese vielleicht aber nicht mehr lange. Denn nach den Worten ihres Herausgebers Arthur Ochs Sulzberger, ist die Einstellung der gedruckten „New York Times“, der „Gray Lady“, wie sie respektvoll genannt wird, nicht ausgeschlossen. Ob die „New York Times“ in fünf Jahren noch gedruckt werde, sei ihm „egal“.
In Anbetracht der Hysterie, in die deutsche Zeitungsverleger mit Blick auf sinkende Auflagen, wegbrechende Anzeigenkunden und schwindende Leserzahlen verfallen, ist die Gelassenheit von Arthur Sulzburger überraschend. Denn auch die Verlagsgruppe der „New York Times“ hat im vergangenen Jahr kräftige Verluste eingefahren. Von 570 Mio. Dollar ist die Rede. Deutsche Verleger wären angesichts solcher Einbußen vermutlich schon ins Koma gefallen. Sulzberger aber ist nervenstark, zudem Optimist und Pragmatiker. Unter den im Internet vertretenen Zeitungen ist die „New York Times“ führend. Im vergangenen Jahr hat sie ihre Online-Leserschaft auf 1,5 Millionen pro Tag verdoppelt. Kein Wunder, nutzen doch nur 10% der US-Amerikaner die Zeitung als Nachrichtenquelle, gegenüber knapp 50%, die ihre Informationen in erster Linie aus dem Internet beziehen.
Die Zuspitzung der Medienkonzentration in Deutschland, der Anfang der 90er Jahre vor allem die Lokalzeitungen und ihre Redaktionen zum Opfer fielen, hat deutliche Spuren hinterlassen. Sie hat ganz wesentlich dazu beigetragen, dass große Zeitungsverlage sich heute nur zögernd oder unwillig dem Medium Internet öffnen. Zwar hat mittlerweile jede deutsche Zeitung einen Internetauftritt – vor gut zehn Jahren waren es weltweit gerade einmal 200 –, aber nach wie vor überwiegen in den Köpfen vieler Zeitungsverleger die Kampfvokabeln „Konkurrenz und Konfrontation“, wenn sie ans Internet denken.
Doch statt sich einer Entwicklung zu verweigern oder sich ihr sogar durch Hinweis auf die gewachsene Tradition der Zeitung entgegenzustellen, würden die Zeitungsverlage ihre traditionelle Rolle glaubhafter vermitteln, wenn sie sich auf eine der zentralen Säulen ihres Selbstverständnisses besinnen würden: ihre Aktualität. „Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern.“ Mit diesem Versprechen wurden und werden Zeitungen gedruckt. Und das über Generationen mit Erfolg. Jede technische Möglichkeit, die eine größere Aktualität versprach – von den Nachrichtenagenturen über die Telegrafen bis hin zu Telefon und Fernschreiber – haben die Zeitungsverlage genutzt, um ihren Lesern ein Höchstmaß an Aktualität zu bieten und im Wettbewerb zu bestehen.
Heute müsste der lange gültige Slogan anders heißen: „Nichts ist so alt wie die Zeitung von heute.“ Sicher kein Slogan, mit dem man erfolgreich wird. Tatsache aber ist, dass die aktuellsten Nachrichten und Informationen im Internet zu finden sind – lange bevor die Zeitung in Druck geht. Mit Konfrontation und Starrsinn ist hier nichts zu gewinnen. Gefragt sind Kooperation, Zusammenarbeit und die Nutzung von Synergien.
Arthur Sulzberger meint, dass sich seine Zeitung, die graue Dame „New York Times“ auf einer Reise befinde, einer Reise, die an dem Tag zu Ende gehe, an dem das Unternehmen entscheide, das Blatt nicht länger zu drucken. Den Aufbruch des amerikanischen Verlegers, auf zu neuen Ufern, teilen die meisten seiner deutschen Kollegen nicht. Sie hocken auf den Bäumen und sehen zu, wie das Wasser steigt. Sie laufen Gefahr, dass der Strom der Veränderung an ihnen vorbei zieht. Und sie bauen keine Boote, sondern harren mürrisch aus, in der Hoffnung, dass das Internet nur ein böser Albtraum ist, aus dem sie bei Tagesanbruch erwachen. „Damals“ kommt nicht wieder. Und für viele wird die Zeit knapp, aus ihren Zeitungen noch fahrtüchtige Boote zu falten.
Damals, als die Namen der Zeitungen noch groß und echte Namen waren, damals, als das Lesen der FAZ noch ein politisches Bekenntnis war, ebenso wie die Lektüre der Frankfurter Rundschau ein politisches Gegenbekenntnis, damals gab es auf dem deutschen Zeitungsmarkt rund 600 Zeitungen. Rund 250 mehr als heute. Ob es dadurch damals auch mehr Meinungs- und Informationsvielfalt gab, das wage ich heute zu bezweifeln. Mir jedenfalls reichten am Samstagmorgen meist vier oder fünf Zeitungen: Nachrichten aus aller Welt, Kommentare verschiedener politischer Richtungen, Hintergrundberichte, Reportagen, Feuilleton und ein bisschen Klatsch und Lokales. Ich vermisse keins der eingestampften, wegrationalisierten oder in überregionalen Ausgaben aufgegangenen Blätter. Schließlich gibt es sie ja noch, die großen, die bedeutenden Zeitungen: die „Süddeutsche Zeitung“, die „Welt“, die „Financial Times Deutschland“ und natürlich auch eine der bedeutendsten Zeitungen der Welt, um nicht zu sagen: die Zeitung schlechthin, die „New York Times“. Diese vielleicht aber nicht mehr lange. Denn nach den Worten ihres Herausgebers Arthur Ochs Sulzberger, ist die Einstellung der gedruckten „New York Times“, der „Gray Lady“, wie sie respektvoll genannt wird, nicht ausgeschlossen. Ob die „New York Times“ in fünf Jahren noch gedruckt werde, sei ihm „egal“.
In Anbetracht der Hysterie, in die deutsche Zeitungsverleger mit Blick auf sinkende Auflagen, wegbrechende Anzeigenkunden und schwindende Leserzahlen verfallen, ist die Gelassenheit von Arthur Sulzburger überraschend. Denn auch die Verlagsgruppe der „New York Times“ hat im vergangenen Jahr kräftige Verluste eingefahren. Von 570 Mio. Dollar ist die Rede. Deutsche Verleger wären angesichts solcher Einbußen vermutlich schon ins Koma gefallen. Sulzberger aber ist nervenstark, zudem Optimist und Pragmatiker. Unter den im Internet vertretenen Zeitungen ist die „New York Times“ führend. Im vergangenen Jahr hat sie ihre Online-Leserschaft auf 1,5 Millionen pro Tag verdoppelt. Kein Wunder, nutzen doch nur 10% der US-Amerikaner die Zeitung als Nachrichtenquelle, gegenüber knapp 50%, die ihre Informationen in erster Linie aus dem Internet beziehen.
Die Zuspitzung der Medienkonzentration in Deutschland, der Anfang der 90er Jahre vor allem die Lokalzeitungen und ihre Redaktionen zum Opfer fielen, hat deutliche Spuren hinterlassen. Sie hat ganz wesentlich dazu beigetragen, dass große Zeitungsverlage sich heute nur zögernd oder unwillig dem Medium Internet öffnen. Zwar hat mittlerweile jede deutsche Zeitung einen Internetauftritt – vor gut zehn Jahren waren es weltweit gerade einmal 200 –, aber nach wie vor überwiegen in den Köpfen vieler Zeitungsverleger die Kampfvokabeln „Konkurrenz und Konfrontation“, wenn sie ans Internet denken.
Doch statt sich einer Entwicklung zu verweigern oder sich ihr sogar durch Hinweis auf die gewachsene Tradition der Zeitung entgegenzustellen, würden die Zeitungsverlage ihre traditionelle Rolle glaubhafter vermitteln, wenn sie sich auf eine der zentralen Säulen ihres Selbstverständnisses besinnen würden: ihre Aktualität. „Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern.“ Mit diesem Versprechen wurden und werden Zeitungen gedruckt. Und das über Generationen mit Erfolg. Jede technische Möglichkeit, die eine größere Aktualität versprach – von den Nachrichtenagenturen über die Telegrafen bis hin zu Telefon und Fernschreiber – haben die Zeitungsverlage genutzt, um ihren Lesern ein Höchstmaß an Aktualität zu bieten und im Wettbewerb zu bestehen.
Heute müsste der lange gültige Slogan anders heißen: „Nichts ist so alt wie die Zeitung von heute.“ Sicher kein Slogan, mit dem man erfolgreich wird. Tatsache aber ist, dass die aktuellsten Nachrichten und Informationen im Internet zu finden sind – lange bevor die Zeitung in Druck geht. Mit Konfrontation und Starrsinn ist hier nichts zu gewinnen. Gefragt sind Kooperation, Zusammenarbeit und die Nutzung von Synergien.
Arthur Sulzberger meint, dass sich seine Zeitung, die graue Dame „New York Times“ auf einer Reise befinde, einer Reise, die an dem Tag zu Ende gehe, an dem das Unternehmen entscheide, das Blatt nicht länger zu drucken. Den Aufbruch des amerikanischen Verlegers, auf zu neuen Ufern, teilen die meisten seiner deutschen Kollegen nicht. Sie hocken auf den Bäumen und sehen zu, wie das Wasser steigt. Sie laufen Gefahr, dass der Strom der Veränderung an ihnen vorbei zieht. Und sie bauen keine Boote, sondern harren mürrisch aus, in der Hoffnung, dass das Internet nur ein böser Albtraum ist, aus dem sie bei Tagesanbruch erwachen. „Damals“ kommt nicht wieder. Und für viele wird die Zeit knapp, aus ihren Zeitungen noch fahrtüchtige Boote zu falten.
colonna - 4. Aug, 23:59