Bei Tod Reset-Taste drücken

Was hat der Computer nicht schon alles verdrängt: Schreibmaschinen sind nur noch im Museum zu finden, Bibliotheken werden durch das Internet ersetzt und Haustiere sind heute aus Plastik, vollgestopft mit Elektronik und Computerchips. Sie heißen nicht mehr Hoppel, Muschi oder Waldi, sondern Tamagotchi, Furby und Pleo.
Als Mitte der 90er Jahre das Tamagotchi-Fieber ausbrach, hatte beinahe jedes Kind dieses Eigroße virtuelle Küken, um das man sich vom Zeitpunkt des Schlüpfens an wie um ein echtes Haustier kümmern musste. Das Tamagotchi meldete sich, wenn es gefüttert werden musste oder Zuneigung brauchte. Hatte man das Tamagotchi zu lange vernachlässigt starb es erbarmungslos. Im Internet fanden sich bald virtuelle Tamagotchi-Friedhöfe. Erst die Reset-Taste machte eine Wiederbelebung möglich. Die spielversessenen Japaner landeten mit dieser Entwicklung einen riesigen Verkaufsschlager.
Wenige Jahre später kam Furby auf den Markt. Furby sah aus wie Gizmo von den Gremlins und war eine liebenswerte Mischung aus Katze und Fledermaus. Furby war ein echtes Plüschtier, vollgestopft mit Sensoren. Furby konnte unterscheiden, ob es gekitzelt oder gestreichelt wird, ob man mit ihm spricht oder es in der Luft bewegt. Auch Furby brauchte Zuwendung um sich zu entwickeln. Zur Belohnung erweiterte sich sein Wortschatz. Bei Vernachlässigung wurde Furby zwar krank, überlebte aber jede auch noch so brachiale Behandlung. Ein Spielspaß also auch für Sadisten.
Tamagotchi, Furby: Alles Schnickschnack. Kein wirklicher Haustier- und Kuschelersatz.
Die neueste Generation virtueller Haustiere hört auf den Namen „Pleo“. Pleo wird bereits als das intelligenteste Spielzeug aller Zeiten gepriesen und beworben. Seine Entwickler haben dem dinosaurierartigen Haustier ein riesiges Arsenal an Mikrochips, Kameras, Sensoren und Motoren unter die Kunststoffhaut gepflanzt, damit es sehen, hören, fühlen, sprechen und - in Grenzen – sogar denken kann. Ziel bei der Entwicklung und Herstellung von Pleo sei es, so der technische Direktor der Herstellerfirma, „Pleo so lebendig zu machen, dass Menschen eine Beziehung zu ihm aufbauen können."
Das hatten wir uns doch eigentlich schon immer gewünscht: eine Beziehung zu Dingen aufzubauen, die sich nicht wehren können. Eine unverbindliche Beziehung gewissermaßen. Hier scheint die technologische Entwicklung endlich einmal die richtige Richtung eingeschlagen zu haben. Bei all den Beziehungswracks die durch unser Leben laufen und uns den Glauben an die Menschheit rauben, passt ein Haustier à la Pleo als therapeutischer Zeitvertreib doch besser als jedes Partnervermittlungsinstitut.
Der rund 400 Euro teure Partner hört aufs Wort und ist nach einstündiger Aktivität bereits dermaßen erschöpft, dass er an die Steckdose muss. Dem Gestaltungswillen des Besitzers stehen schier grenzenlose Möglichkeiten offen. Ausgestattet mit USB- und Infrarotschnittstellen und einer SD-Speicherkarte lässt sich Pleo übers Internet programmieren. Was für ein Traum! Ein Partner mit Speicherkarte, dessen Upload-Code nur ich kenne. Ein Homunkulus für zwischendurch. Einfach süß.
Im Land der unbegrenzten und wahnsinnigen Möglichkeiten sind bereits Passanten mit dem neuen Haustier in öffentlichen Parkanlagen gesichtet worden. Man trifft sich zum Erfahrungsaustausch, wobei sich die niedlichen Roboter gegenseitig beschnuppern. Schreie des Entzückens wechseln bei solchen Treffen mit Tönen ab, die man sonst nur beim Blick in den Kinderwagen hört.
Ob Kinder- und Elterngeld ausreichen, um der virtuellen Konkurrenz zu begegnen, bleibt abzuwarten.

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