Bitte legen Sie nicht auf! oder „Servicewüste“
I.
Es war ein Fehler gewesen, aufs Land zu ziehen. Nicht der Natur und der guten Luft wegen. Auch die ausgedehnten Fahrradtouren durch die Voreifel, die entspannten Waldläufe und die Sommernachmittage an versteckten Naturseen möchte ich nicht missen. Nein, das war schon in Ordnung. Die Jahreszeiten waren dort draußen noch wirkliche Jahreszeiten mit Hitze, Kälte, Frost und Sturm. Und ich genoss die Ruhe und Beschaulichkeit bei meinen ausgedehnten Spaziergängen durch die weiten Felder, die sich an klaren Herbstnachmittagen bis zum Horizont zu dehnen schienen.
Trotzdem: es war ein Fehler gewesen, aufs Land zu ziehen.
Angefangen hat alles damit, dass ich mit meinem Handy keinen Empfang bekam. Entweder zeigte sich auf dem Display überhaupt kein Balken für die Empfangsstärke oder aber der Empfang brach unvermittelt während des Gespräches ab. Mit der Zeit hatte ich jene Stellen in meiner Wohnung ausfindig gemacht, in denen es zumindest einen schwachen Empfang gab. Leider befanden sich die Stellen jedoch an eher unbequemen Orten in der Wohnung: in der hinteren Ecke des Schlafzimmers etwa und auch dort nur in Bodenhöhe, was bedeutete, im Liegen zu telefonieren. Oder ich musste mich auf die Toilette begeben, wo ich mich dann zuweilen auf dem Klodeckel sitzend wiederfand, den Netzempfangsbalken während des Gesprächs immer scharf im Blick und blitzschnell die Position verändernd, sobald der Balken zu verschwinden drohte.
Besonders unangenehm war es dann, wenn ich den Kundenservice der Telekom anrufen wollte. Wenn ich, was ausnahmsweise vorkam, tatsächlich einmal einen Mitarbeiter des Kundencenters in der Leitung hatte, schrumpfte der Balken auf meinem Handydisplay langsam aber unerbittlich zusammen, bis die Verbindung endgültig zusammenbrach. Dabei hatte ich mich extra flach auf den Boden gelegt, dicht an den Kleiderschrank gedrückt und nur langsam und vorsichtig geatmet, damit ich die Staubflocken, die ich jetzt unter meinem Bett entdeckte nicht aufwirbelte und wohlmöglich beim Einatmen noch ersticken würde.
Meinen Festnetzanschluss konnte ich ja bereits seit Wochen nicht mehr benutzen, weil mir die Telekom nach dem Anschluss eines kabellosen Internetanschlusses, meinen Telefonanschluss gesperrt hatte. Die Gründe dafür lagen für mich lange Zeit im Dunkeln. Mit dem Anschluss der kabellosen Internetverbindung hatte ich eine Flatrate gewählt. D.h. telefonieren und surfen rund um die Uhr zu einem festen und durchaus attraktiven Preis. Ich war begeistert. Nicht so sehr wegen der Flatrate, sondern wegen der Möglichkeit nun endlich ohne Kabelsalat ins Internet gehen zu können. Das Vergnügen mich mit meinem Labtop frei in der Wohnung bewegen zu können, vom Sofa aus Emails zu verschicken oder in der Badewanne mit Freunden zu chatten, auf dem Balkon zu sitzen und mir die Webcams von Bangkok oder Dubai anzuschauen, hatte mir die Telekom in Aussicht gestellt und – es funktionierte. Wenn mich hier draußen schon niemand besuchen kam, stand mir nun wenigstens das Internet als Tor zur Welt offen.
Meine Begeisterung bekam einen ersten Dämpfer, als die Rechnung der Telekom über 192,41 Euro im Briefkasten lag. Dass der Betrag wegen des Neuanschlusses höher ausfallen würde als gewöhnlich, hatte ich erwartet. Aber, bitteschön, nicht so hoch, nicht knapp 200 Euro! Die Summe setzte sich zum größten Teil, das konnte ich dem mehrseitigen Rechnungsausdruck entnehmen, aus den 6277 Minuten zusammen, die ich in den vergangenen vier Wochen im Internet zugebracht haben sollte. Ich konnte das nicht prüfen. Und warum sollte ich auch. Ich hatte doch eine Flatrate. Da sollte es doch egal sein, ob ich sechs oder 6000 Minuten online war. Jedenfalls stimmte die Rechnung nicht.
Und so kam also der Tag, an dem ich das erste Mal telefonischen Kontakt mit dem Service-Personal der Deutschen Telekom aufnahm – ahnungslos ob der Dinge, die mich in den kommenden Wochen und Monaten erwarten sollten und darum noch voller Optimismus und Zuversicht.
II.
„Warteschleife“, das klingt irgendwie freundlich, nach spannender Verpackung und schmucker Dekoration. In Wahrheit klingt eine Warteschleife natürlich anders: „Sie werden gleich bedient!“, „Der nächste freie Mitarbeiter ist für Sie reserviert.“, „Wenn Sie Fragen zu Ihrer Rechnung haben, dann drücken Sie bitte die Eins. Bei allen anderen Fragen, drücken Sie bitte die Sechs!“ oder auch „Die Verbindung wird gehalten.“ Eine Warteschleife ist also alles andere als schmuck und spannend. In Wahrheit ist eine Warteschleife nämlich nichts anderes als eine der entwürdigendsten Formen Menschen zu behandeln: sie ist ignorant, arrogant und sie nutzt auf schamloseste Weise die Ohnmacht und Hilflosigkeit des Anrufers aus. Sie ist, kurz gesagt, die anonymisierte Machtdemonstration von Unternehmen und Konzernen. Und das alles unter dem Deckmäntelchen von allzeit bereitem Kundenservice. Was vermeintlich freundlich daherkommt (siehe oben), entpuppt sich nach wenigen Minuten als erniedrigende Geduldsprobe. Man könnte genauso gut von einem „Wartestrick“ sprechen, einem Strick, an dem man erbarmungslos aufgeknöpft wird.
Bei der überhöhten Rechnung, derentwegen ich die Servicenummer der Telekom gewählt hatte, handelte es sich, davon war ich zu diesem Zeitpunkt noch unerschütterlich überzeugt, weil es eben zu offensichtlich war, um einen Irrtum, einfach um einen kleinen menschlichen Fehler, wie er tagtäglich und überall passiert und wie er genauso tagtäglich und überall korrigiert oder behoben wird, vielleicht mit einer freundlichen Entschuldigung versehen und darum eigentlich kaum der Rede wert.
Nett, die Servicenummer war kostenfrei. Am anderen Ende der Leitung ein metallisches Geklimper, eine Melodie wie aus einem Spielautomaten. Dann endlich eine Stimme: „Guten Tag! Bitte legen Sie nicht auf. Der nächste freie Mitarbeiter ist gleich für Sie da!“ Nach rund fünf Minuten und der zum zwanzigsten Mal wiederholten Ansage, die nur von dem metallischen Gedudel unterbrochen wurde – ich hatte den Hörer mittlerweile zwischen Ohr und Schulter geklemmt und stand in der Küche, um mir einen Kaffee aufzuschütten – war wohl auch der „nächste freie Mitarbeiter“ in die Kaffeepause gegangen: „Zurzeit sind alle Mitarbeiter im Gespräch (miteinander??). Bitte versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal.“ Dann erklang das Besetztzeichen.
Ich machte einen zweiten Versuch. Aber das Ergebnis war das gleiche: Gedudel, Ansage, Warten, Gedudel, Besetztzeichen. Auch drei weitere Versuche in halbstündigem Abstand blieben erfolglos.
Nicht, dass ich ein ausgesprochen ungeduldiger Zeitgenosse bin. Aber ich verspürte plötzlich doch eine gewisse Reizbarkeit. Eine gute Stunde hatte ich mir um die Ohren geschlagen und es war jetzt ganz deutlich, dass es keine wirklich gute Stunde gewesen war.
III.
Die wahre Tiefe eines Abgrunds ermisst nur, wer auf dessen Boden angekommen ist. Bis dorthin war es allerdings noch ein beträchtlicher Weg.
Das entnervende Prozedere – Warteschleife, Besetzzeichen, Nummer drücken, Gedudel… - setzte sich bei T-Online fort. Und dann erfuhr ich – ich hatte bereits so eine vage Vorahnung gehabt -, dass nicht T-Online, sondern „natürlich“ die Telekom zuständig sei. „Moooment!!“ Ich holte tief Luft, nahm Anlauf und machte mich bereit zum Angriff: „SIE verbinden mich jetzt. Auf der Stelle! Wenn offenbar niemand zuständig ist, dann sind SIE jetzt zuständig!“
Ich wartete auf eine Reaktion. Keine Antwort. „Hallo! Sind Sie noch da? Hören Sie mich?“ – „Ich höre Sie. Laut und deutlich. Aber offenbar haben Sie nicht gehört, was ich Ihnen gerade gesagt habe: Für Ihr Anliegen ist die Telekom zuständig!“ In der betont ruhigen Stimme am anderen Ende der Leitung schwang die Überheblichkeit der Unnahbarkeit. Wie viele Anrufer mochte die junge Frau (oder trog Ihre Stimme, und sie war in Wahrheit bereits alt, hässlich und roch nach Zwiebeln und Kölnisch Wasser) auf diese Weise schon abgekanzelt haben? Ich hätte sie am liebsten durch den Hörer gezogen und geschüttelt, bis ihr ihr schlecht platziertes Haarteil um die Ohren geflogen wäre!
Ich hatte den Boden des Abgrunds noch nicht erreicht.
Wozu richtet man einen Telefonservice ein, wenn er dem Kunden keinen Nutzen bringt? Wozu sitzen Menschen an den Serviceleitungen, die einem nicht helfen können? Ist vielleicht das Telefon selbst das Problem? So blieb also nur der Weg über die Post. Ein deutlicher Brief, in dem ich meinem Unmut Luft machte und um die Korrektur der falschen Abrechnung bat, ging noch am gleichen Tag sowohl an die Telekom, als auch an T-Online. Sicher ist sicher!
Nach rund zwei Wochen erreichte mich das Schreiben einer Anwaltskanzlei aus Heidelberg. Man sei von der Telekom beauftragt, die offene Rechnung in Höhe von 192,41 Euro einzufordern. Dazu kämen Mahn- und Säumnisgebühren, Anwaltskosten und Auslagen in Höhe 47,87 Euro. – Abgrund, ich komme!!
Mittlerweise war mein Telefonanschluss gesperrt worden. Ich erfuhr tatsächlich bei einem meiner zahllosen weiteren Anrufe (meist in unbequemer Position zwischen Kleiderschrank und Bett liegend – die Empfangsstärke meines Handys zwang mich zu immer akrobatischeren Verrenkungen), dass mein Zugang zum Internet allerdings keineswegs gesperrt sei. Eine hilfreiche Information! Nachdem ich den Anwalt schriftlich darüber in Kenntnis gesetzt hatte, dass der Fehler bei der Telekom oder bei T-Online läge (ich war mir da nicht mehr ganz sicher) und er sich also bitte mit seiner Klientin in Verbindung setzen solle, hagelte es in den kommenden Monaten Rechnungen, die sich in exorbitante Höhen steigerten. Meine Briefe an Telekom und T-Online allerdings wurden artig beantwortet. Man entschuldigte sich wortkarg für die falsche Rechnungsstellung und sicherte zu, mit der nächsten Rechnung nur die Flatrate und nicht die vertelefonierten bzw. versurften Minuten zu berechnet. Eine Gutschrift würde selbstverständlich erfolgen.
Wenn man den Abgrund erst einmal geküsst hat, gibt man sich keinen Illusionen mehr hin. Und die Vokabel „Hoffnung“ ist in die Enzyklopädie der untergegangenen Wörter eingegangen.
Immerhin wurde mein Telefonanschluss nach kurzen drei Monaten wieder freigeschaltet. Dann erreichte mich eine letzte Rechnung über Neunhundertsiebenundachtzig Euro und sechsundsechzig Cent. Ein echtes Schnäppchen!
Ein Anruf bei der Telekom kam nun nicht mehr in Frage. Denn mittlerweile hatte ich eine chronische Kontaktallergie, die sich als juckende Pusteln auf Händen und Gesicht äußerte, sobald ich den Telefonhörer in die Hand nahm. Anrufe nahm ich schon lange keine mehr entgehen. Das Klingeln führte bereits seit Wochen zu Krämpfen, die sich schließlich in einer medizinisch bis dahin noch unbekannten Psychose manifestierten.
Eine Besserung meines Zustandes stellte sich nur langsam ein. Gutmeinende Freunde haben mir eine Trommel geschenkt. Deren Reichweite zur Kontaktaufnahme bleibt jedoch ausgesprochen begrenzt.
Heute schreibe ich öfters Briefe oder ich überrasche Freunde mit meinem Besuch. Und wenn wir dann in gemütlicher Runde zusammensitzen und erzählen, genügt meist schon ein kurzer Blick von mir zum Telefon. Dann steht jemand auf und zieht wortlos den Stecker aus der Wand.
Diese und alle bisher erschienenen Kolumnen finden Sie unter http://www.freiehonnefer.de/category/weltweit/lesezeichen
Es war ein Fehler gewesen, aufs Land zu ziehen. Nicht der Natur und der guten Luft wegen. Auch die ausgedehnten Fahrradtouren durch die Voreifel, die entspannten Waldläufe und die Sommernachmittage an versteckten Naturseen möchte ich nicht missen. Nein, das war schon in Ordnung. Die Jahreszeiten waren dort draußen noch wirkliche Jahreszeiten mit Hitze, Kälte, Frost und Sturm. Und ich genoss die Ruhe und Beschaulichkeit bei meinen ausgedehnten Spaziergängen durch die weiten Felder, die sich an klaren Herbstnachmittagen bis zum Horizont zu dehnen schienen.
Trotzdem: es war ein Fehler gewesen, aufs Land zu ziehen.
Angefangen hat alles damit, dass ich mit meinem Handy keinen Empfang bekam. Entweder zeigte sich auf dem Display überhaupt kein Balken für die Empfangsstärke oder aber der Empfang brach unvermittelt während des Gespräches ab. Mit der Zeit hatte ich jene Stellen in meiner Wohnung ausfindig gemacht, in denen es zumindest einen schwachen Empfang gab. Leider befanden sich die Stellen jedoch an eher unbequemen Orten in der Wohnung: in der hinteren Ecke des Schlafzimmers etwa und auch dort nur in Bodenhöhe, was bedeutete, im Liegen zu telefonieren. Oder ich musste mich auf die Toilette begeben, wo ich mich dann zuweilen auf dem Klodeckel sitzend wiederfand, den Netzempfangsbalken während des Gesprächs immer scharf im Blick und blitzschnell die Position verändernd, sobald der Balken zu verschwinden drohte.
Besonders unangenehm war es dann, wenn ich den Kundenservice der Telekom anrufen wollte. Wenn ich, was ausnahmsweise vorkam, tatsächlich einmal einen Mitarbeiter des Kundencenters in der Leitung hatte, schrumpfte der Balken auf meinem Handydisplay langsam aber unerbittlich zusammen, bis die Verbindung endgültig zusammenbrach. Dabei hatte ich mich extra flach auf den Boden gelegt, dicht an den Kleiderschrank gedrückt und nur langsam und vorsichtig geatmet, damit ich die Staubflocken, die ich jetzt unter meinem Bett entdeckte nicht aufwirbelte und wohlmöglich beim Einatmen noch ersticken würde.
Meinen Festnetzanschluss konnte ich ja bereits seit Wochen nicht mehr benutzen, weil mir die Telekom nach dem Anschluss eines kabellosen Internetanschlusses, meinen Telefonanschluss gesperrt hatte. Die Gründe dafür lagen für mich lange Zeit im Dunkeln. Mit dem Anschluss der kabellosen Internetverbindung hatte ich eine Flatrate gewählt. D.h. telefonieren und surfen rund um die Uhr zu einem festen und durchaus attraktiven Preis. Ich war begeistert. Nicht so sehr wegen der Flatrate, sondern wegen der Möglichkeit nun endlich ohne Kabelsalat ins Internet gehen zu können. Das Vergnügen mich mit meinem Labtop frei in der Wohnung bewegen zu können, vom Sofa aus Emails zu verschicken oder in der Badewanne mit Freunden zu chatten, auf dem Balkon zu sitzen und mir die Webcams von Bangkok oder Dubai anzuschauen, hatte mir die Telekom in Aussicht gestellt und – es funktionierte. Wenn mich hier draußen schon niemand besuchen kam, stand mir nun wenigstens das Internet als Tor zur Welt offen.
Meine Begeisterung bekam einen ersten Dämpfer, als die Rechnung der Telekom über 192,41 Euro im Briefkasten lag. Dass der Betrag wegen des Neuanschlusses höher ausfallen würde als gewöhnlich, hatte ich erwartet. Aber, bitteschön, nicht so hoch, nicht knapp 200 Euro! Die Summe setzte sich zum größten Teil, das konnte ich dem mehrseitigen Rechnungsausdruck entnehmen, aus den 6277 Minuten zusammen, die ich in den vergangenen vier Wochen im Internet zugebracht haben sollte. Ich konnte das nicht prüfen. Und warum sollte ich auch. Ich hatte doch eine Flatrate. Da sollte es doch egal sein, ob ich sechs oder 6000 Minuten online war. Jedenfalls stimmte die Rechnung nicht.
Und so kam also der Tag, an dem ich das erste Mal telefonischen Kontakt mit dem Service-Personal der Deutschen Telekom aufnahm – ahnungslos ob der Dinge, die mich in den kommenden Wochen und Monaten erwarten sollten und darum noch voller Optimismus und Zuversicht.
II.
„Warteschleife“, das klingt irgendwie freundlich, nach spannender Verpackung und schmucker Dekoration. In Wahrheit klingt eine Warteschleife natürlich anders: „Sie werden gleich bedient!“, „Der nächste freie Mitarbeiter ist für Sie reserviert.“, „Wenn Sie Fragen zu Ihrer Rechnung haben, dann drücken Sie bitte die Eins. Bei allen anderen Fragen, drücken Sie bitte die Sechs!“ oder auch „Die Verbindung wird gehalten.“ Eine Warteschleife ist also alles andere als schmuck und spannend. In Wahrheit ist eine Warteschleife nämlich nichts anderes als eine der entwürdigendsten Formen Menschen zu behandeln: sie ist ignorant, arrogant und sie nutzt auf schamloseste Weise die Ohnmacht und Hilflosigkeit des Anrufers aus. Sie ist, kurz gesagt, die anonymisierte Machtdemonstration von Unternehmen und Konzernen. Und das alles unter dem Deckmäntelchen von allzeit bereitem Kundenservice. Was vermeintlich freundlich daherkommt (siehe oben), entpuppt sich nach wenigen Minuten als erniedrigende Geduldsprobe. Man könnte genauso gut von einem „Wartestrick“ sprechen, einem Strick, an dem man erbarmungslos aufgeknöpft wird.
Bei der überhöhten Rechnung, derentwegen ich die Servicenummer der Telekom gewählt hatte, handelte es sich, davon war ich zu diesem Zeitpunkt noch unerschütterlich überzeugt, weil es eben zu offensichtlich war, um einen Irrtum, einfach um einen kleinen menschlichen Fehler, wie er tagtäglich und überall passiert und wie er genauso tagtäglich und überall korrigiert oder behoben wird, vielleicht mit einer freundlichen Entschuldigung versehen und darum eigentlich kaum der Rede wert.
Nett, die Servicenummer war kostenfrei. Am anderen Ende der Leitung ein metallisches Geklimper, eine Melodie wie aus einem Spielautomaten. Dann endlich eine Stimme: „Guten Tag! Bitte legen Sie nicht auf. Der nächste freie Mitarbeiter ist gleich für Sie da!“ Nach rund fünf Minuten und der zum zwanzigsten Mal wiederholten Ansage, die nur von dem metallischen Gedudel unterbrochen wurde – ich hatte den Hörer mittlerweile zwischen Ohr und Schulter geklemmt und stand in der Küche, um mir einen Kaffee aufzuschütten – war wohl auch der „nächste freie Mitarbeiter“ in die Kaffeepause gegangen: „Zurzeit sind alle Mitarbeiter im Gespräch (miteinander??). Bitte versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal.“ Dann erklang das Besetztzeichen.
Ich machte einen zweiten Versuch. Aber das Ergebnis war das gleiche: Gedudel, Ansage, Warten, Gedudel, Besetztzeichen. Auch drei weitere Versuche in halbstündigem Abstand blieben erfolglos.
Nicht, dass ich ein ausgesprochen ungeduldiger Zeitgenosse bin. Aber ich verspürte plötzlich doch eine gewisse Reizbarkeit. Eine gute Stunde hatte ich mir um die Ohren geschlagen und es war jetzt ganz deutlich, dass es keine wirklich gute Stunde gewesen war.
III.
Die wahre Tiefe eines Abgrunds ermisst nur, wer auf dessen Boden angekommen ist. Bis dorthin war es allerdings noch ein beträchtlicher Weg.
Das entnervende Prozedere – Warteschleife, Besetzzeichen, Nummer drücken, Gedudel… - setzte sich bei T-Online fort. Und dann erfuhr ich – ich hatte bereits so eine vage Vorahnung gehabt -, dass nicht T-Online, sondern „natürlich“ die Telekom zuständig sei. „Moooment!!“ Ich holte tief Luft, nahm Anlauf und machte mich bereit zum Angriff: „SIE verbinden mich jetzt. Auf der Stelle! Wenn offenbar niemand zuständig ist, dann sind SIE jetzt zuständig!“
Ich wartete auf eine Reaktion. Keine Antwort. „Hallo! Sind Sie noch da? Hören Sie mich?“ – „Ich höre Sie. Laut und deutlich. Aber offenbar haben Sie nicht gehört, was ich Ihnen gerade gesagt habe: Für Ihr Anliegen ist die Telekom zuständig!“ In der betont ruhigen Stimme am anderen Ende der Leitung schwang die Überheblichkeit der Unnahbarkeit. Wie viele Anrufer mochte die junge Frau (oder trog Ihre Stimme, und sie war in Wahrheit bereits alt, hässlich und roch nach Zwiebeln und Kölnisch Wasser) auf diese Weise schon abgekanzelt haben? Ich hätte sie am liebsten durch den Hörer gezogen und geschüttelt, bis ihr ihr schlecht platziertes Haarteil um die Ohren geflogen wäre!
Ich hatte den Boden des Abgrunds noch nicht erreicht.
Wozu richtet man einen Telefonservice ein, wenn er dem Kunden keinen Nutzen bringt? Wozu sitzen Menschen an den Serviceleitungen, die einem nicht helfen können? Ist vielleicht das Telefon selbst das Problem? So blieb also nur der Weg über die Post. Ein deutlicher Brief, in dem ich meinem Unmut Luft machte und um die Korrektur der falschen Abrechnung bat, ging noch am gleichen Tag sowohl an die Telekom, als auch an T-Online. Sicher ist sicher!
Nach rund zwei Wochen erreichte mich das Schreiben einer Anwaltskanzlei aus Heidelberg. Man sei von der Telekom beauftragt, die offene Rechnung in Höhe von 192,41 Euro einzufordern. Dazu kämen Mahn- und Säumnisgebühren, Anwaltskosten und Auslagen in Höhe 47,87 Euro. – Abgrund, ich komme!!
Mittlerweise war mein Telefonanschluss gesperrt worden. Ich erfuhr tatsächlich bei einem meiner zahllosen weiteren Anrufe (meist in unbequemer Position zwischen Kleiderschrank und Bett liegend – die Empfangsstärke meines Handys zwang mich zu immer akrobatischeren Verrenkungen), dass mein Zugang zum Internet allerdings keineswegs gesperrt sei. Eine hilfreiche Information! Nachdem ich den Anwalt schriftlich darüber in Kenntnis gesetzt hatte, dass der Fehler bei der Telekom oder bei T-Online läge (ich war mir da nicht mehr ganz sicher) und er sich also bitte mit seiner Klientin in Verbindung setzen solle, hagelte es in den kommenden Monaten Rechnungen, die sich in exorbitante Höhen steigerten. Meine Briefe an Telekom und T-Online allerdings wurden artig beantwortet. Man entschuldigte sich wortkarg für die falsche Rechnungsstellung und sicherte zu, mit der nächsten Rechnung nur die Flatrate und nicht die vertelefonierten bzw. versurften Minuten zu berechnet. Eine Gutschrift würde selbstverständlich erfolgen.
Wenn man den Abgrund erst einmal geküsst hat, gibt man sich keinen Illusionen mehr hin. Und die Vokabel „Hoffnung“ ist in die Enzyklopädie der untergegangenen Wörter eingegangen.
Immerhin wurde mein Telefonanschluss nach kurzen drei Monaten wieder freigeschaltet. Dann erreichte mich eine letzte Rechnung über Neunhundertsiebenundachtzig Euro und sechsundsechzig Cent. Ein echtes Schnäppchen!
Ein Anruf bei der Telekom kam nun nicht mehr in Frage. Denn mittlerweile hatte ich eine chronische Kontaktallergie, die sich als juckende Pusteln auf Händen und Gesicht äußerte, sobald ich den Telefonhörer in die Hand nahm. Anrufe nahm ich schon lange keine mehr entgehen. Das Klingeln führte bereits seit Wochen zu Krämpfen, die sich schließlich in einer medizinisch bis dahin noch unbekannten Psychose manifestierten.
Eine Besserung meines Zustandes stellte sich nur langsam ein. Gutmeinende Freunde haben mir eine Trommel geschenkt. Deren Reichweite zur Kontaktaufnahme bleibt jedoch ausgesprochen begrenzt.
Heute schreibe ich öfters Briefe oder ich überrasche Freunde mit meinem Besuch. Und wenn wir dann in gemütlicher Runde zusammensitzen und erzählen, genügt meist schon ein kurzer Blick von mir zum Telefon. Dann steht jemand auf und zieht wortlos den Stecker aus der Wand.
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