Operation: Deutschland verdumme!

Die genauen Hintergründe der Vorgänge vom Februar 1983 sind nicht bekannt. Auch streiten sich Experten über den genauen Tag, an dem das Treffen hochrangiger Politiker, Medienunternehmer und Manager stattgefunden haben soll. Manche sprechen vom 10. andere vom 14. oder 15. Februar. Einigkeit hingegen besteht darüber, dass die konspirative Zusammenkunft unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand und unter dem Namen „Operation: Deutschland verdumme!“ in die Geschichtsbücher der Bundesrepublik Deutschland eingegangen ist. Rund zwanzig der einflussreichsten Köpfe der damaligen Republik schmiedeten einen Masterplan, der vorsah, mit der Einführung des Privatfernsehens ein neues Lenkungsinstrument zur wirtschaftlichen Gewinnmaximierung zu installieren.
Unter dem Motto „Deutschland verdumme!“ machten sich die Teilnehmer der Runde Gedanken darüber, welche gesellschaftlichen Grundlagen geschaffen werden müssten, um Menschen dazu zu bringen, überflüssige Produkte zu kaufen. Die Öffnung des privaten Fernsehmarktes böte hier, so die einhellige Meinung, ein ideales Mittel, um Konsumenten in einen Zustand latenter Unmündigkeit zu versetzen, ihnen gleichzeitig aber das Gefühl zu vermitteln, die eigentlichen Herrscher des Marktes zu sein und also volle Kontrolle zu besitzen. Dies würde vor allem durch Sendungen erreicht, die den Konsumenten zum vermeintlichen Star machten. Die Möglichkeit, sich in selbstentblödender Form im Fernsehen einer breiten Öffentlichkeit zu zeigen, schmeichle niederer Geltungssucht und Eitelkeit. Die Abschaffung des Sendeschlusses und die Einführung des 24-Stunden-Programms, seien geeignet, Menschen mit steuerbaren Bedürfnissen zu schaffen.
Man einigte sich schnell darüber, dass es nicht darum gehen könne, den Wettbewerb zu reglementieren. Vielmehr verfolgte man mit der geplanten Liberalisierung des Fernsehmarktes einen größeren, einen intensiveren, einen hemmungs- und schonungsloseren Wettbewerb. Es war also durchaus gewollt, eine wachsende Konkurrenz zwischen den einzelnen Sendern sich entwickeln zu lassen. Der Kampf um Einschaltquoten sollte, so der ambitionierte Plan, immer schrillere, absurdere und niveaulosere Formate ausscheiden. Die Gerichts-, Talk- und Kochshows, die marktschreierischen, exhibitionistischen Partnertausch-, Partnersuch- und Partnerentsorgungssendungen, an deren Konzeption bereits vor der endgültigen Einführung des Privatfernsehens intensiv gearbeitet wurde und die unbedingt am frühen Nachmittag auszustrahlen wären, sollten die Pausen zwischen den Werbeblöcken füllen. Was nicht bedeuten müsste, dass die Werbung besser würde.
Man wollte das Private öffentlich machen, das Geschmacklose gesellschaftsfähig und das Oberflächliche zur Richtschnur allgemeiner Wahrnehmung.
Das alles soll sich vor 25 Jahren ereignet haben. Minutiös geplant, pragmatisch etabliert und wie selbstverständlich angenommen – so war die Chronologie des Projekts, wie wir heute wissen, ein uneingeschränkter Erfolg.

Zwar gibt es immer wieder Kritiker, die behaupten, dass die Operation „Deutschland verdumme!“ zu keiner Zeit von irgendjemandem ausgerufen worden sei, weder von Unternehmern, noch von Medienmächtigen, geschweige denn von Politikern. Kritiker, die behaupten, dass es ein Spitzentreffen im Februar 1983, ein Jahr vor der offiziellen Einführung des Privatfernsehens in Deutschland, überhaupt nicht gegeben habe und es sich dabei um reine Verschwörungstheorien handle, führen gerne ins Feld, dass die augenblickliche Bildungsoffensive der Bundesregierung der beste Beweis dafür sei.
Das ist nicht richtig. Denn ohne die Operation „Deutschland verdumme!“ wäre eine glaubwürdige Profilierung der Politik gegen Bildungsarmut in Deutschland nicht möglich gewesen. Selbst die aktuelle Verzehrstudie, die den Zusammenhang zwischen Fettleibigkeit und niedrigem Bildungsstand feststellt, belegt, dass das Projekt „Deutschland verdumme!“ bislang äußerst erfolgreich gewesen ist. Unternehmen und private Sendeanstalten haben ihren Profit reichlich eingefahren. Nun, nach 25 Jahren, kann endlich auch die Politik die Früchte ernten. Sie gefällt sich in der Rolle des Retters in der Not, propagiert Bildung und Aufklärung. Und so sind auch schon die öffentlich-rechtlichen Sender unterwandert von Shows und Quizsendungen, die Wissen für Bildung verkaufen.
Nur noch wenige werden sich an die Zeit erinnern, als das Testbild den Sendeschluss anzeigte und ein durchdringender Piepton einen aufweckte, die Kiste auszustellen und ins Bett zu gehen. Um dann von einem noch zu schreibenden Wörterbuch zu träumen, in dem sich unter dem Eintrag „Sendeschluss“ die Erklärung „neudeutsch für Erlösung“, findet.

Diese und alle bisher erschienenen Kolumnen finden Sie unter http://www.freiehonnefer.de/category/weltweit/lesezeichen

.t|w|o. textwerk-online

Herzlich willkommen!

Das textBLOG ist ein Service von textwerk-online. Hier finden Sie regelmäßig aktuelle und anregende Informationen über meine Arbeit als Texter, über neue Projekte und Ideen. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre und freue mich, wenn Sie bald wieder reinschauen.

Mit freundlichen Grüßen,
Paul Schilling

Kontakt: info@textwerk-online.de

Twitter

Aktuelle Beiträge

Herr Kurt und Herr Murrt...
Herr Murrt, kleingewachsen, runder kahlgeschorener...
colonna - 18. Mär, 09:10
Jetzt zugreifen: Sandalen...
Sie zieren die Füße von Beyoncé, Victoria Beckham und...
colonna - 7. Jan, 12:07
Vuvuzelas am Gendarmenmarkt
Was soll man mit den Vuvuzelas nach der Fussball-WM...
colonna - 22. Jul, 12:38
Das schönere Wort für...
Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft, heißt es....
colonna - 19. Jul, 19:49
Gesellschaftlicher und...
Die Bedeutung von Social Media wächst weiter. Wie die...
colonna - 17. Jun, 20:17

Suche

 

Credits

XING

Web Counter


1968 – Inflation der Geschichte
FEUILLETON :
Im Vorübergehen
KONZEPT :
LESEZEICHEN :
Lokales
NRW Website Award
REFERENZEN :
WahrKampagne
Zum Schluss: Rechte und Haftung
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren