Herr Kurt und Herr Murrt - Ein Gespräch über Kultur
Herr Murrt, kleingewachsen, runder kahlgeschorener Schädel, mit eingeklapptem Regenschirm bewaffnet, und Herr Kurt, sportlich, in dickem Pullover und Wanderschuhen, begegnen sich auf der Straße.
Herr Kurt: Sie sehen blass aus.
Herr Murrt: Und Sie versprühen ja wieder eine unerträglich gute Laune. Ich hab schon zu meiner Frau gesagt: Der Kurt, der ist bestimmt gedopt.
Herr Kurt: Ach was, ich ernähre mich nur gesund, viel Obst, Gemüse und Jogurt. Und ich genieße die lebendige Kultur in der Stadt.
Herr Murrt: Um Gottes Willen! Kultur in der Stadt, dass ich nicht lache! Bleiben Sie bei Ihrem Jogurt, da ist in einem Becher mehr aktive und lebendige Kultur drin als in der ganzen Stadt.
Herr Kurt: Die Stadt hat, Verzeihung, ein ausgesprochen reges Kulturleben. Denken Sie nur an die zahlreichen Vereine, die Orchester, Galerien und Museen.
Es beginnt zu regnen. Herr Murrt spannt seinen Schirm auf.
Herr Murrt: Ich weiß nicht, von welcher Stadt SIE reden. In Bad Honnef jedenfalls steht die Kultur genauso im Regen, wie Sie jetzt. Fördermittel: Fehlanzeige. Städtische Unterstützung: Auf Alibiniveau reduziert. Und Sponsoren: Nicht in Sicht. Die Förderung der Kultur in unserem Land ist vor allem Aufgabe der Städte und Gemeinden. Das allerdings ist noch nicht bis ins Rathaus vorgedrungen. Oder aber man entzieht sich jeder kulturpolitischen Auseinandersetzung mit dem gepflegten Hinweis auf knappe Kassen. Aber auch in Zeiten knapper Kassen ist Kulturförderung keine freiwillige Leistung.
Herr Kurt: Ich wusste gar nicht, dass Sie sich für Politik interessieren.
Herr Murrt: Papperlapapp. Mit Politik kann man keine Kultur machen. Die Politik muss aber für die notwendigen Rahmenbedingungen sorgen. Sie muss die Mittel zur Verfügung stellen. Schauen Sie sich doch nur den Haushaltsplan für das laufende Jahr an. Da gibt es etwas Geld für die Musikschule. Aber auch nur um das Angebot für junge Familien attraktiver zu gestalten. Mit Kulturarbeit hat das nichts zu tun.
Herr Kurt: Aber vielleicht kann man mit Kultur Politik machen.
Herr Murrt geht einen Schritt auf Herrn Kurt zu. Sie stehen nun beide unter dem Regenschirm.
Herr Murrt: Mit Kultur Politik machen…? Sie meinen doch nicht etwa…
Herr Kurt schweigt.
Herr Murrt: Sie glauben… Sie wollen doch nicht etwa sagen, dass… Nein, das ist ja abenteuerlich. Das ist unglaublich. Die Politik verhindert die Kultur, um nicht von der Kultur behindert zu werden? Aberwitzig! – Aber plausibel: Kultur ist unberechenbar, Kultur ist nicht nur schön und erbaulich, sie ist zuweilen auch unbequem und provokant. Sie polarisiert, sie irritiert und stört so manche Kreise… 28.000 Euro hat die Stadt Bad Honnef in diesem Jahr für Werbe- und Marketingmaßnahmen veranschlagt. Aber das Collegium Musicum muss sogar noch die Saalmiete fürs Kurhaus selbst bestreiten.
Herr Kurt: Richtig! Das ist sogar Politikern aus dem Bundestag aufgestoßen. Bereits vor Jahren hat der ehemalige Generalsekretär der CDU, Peter Hintze, eine „schöne Geste“ der Stadt gefordert, dem Orchester als musikalischem Aushängeschild der Stadt die Saalmiete zu erlassen.
Herr Murrt: Sie wissen aber Bescheid! Wo haben Sie das denn her?
Herr Kurt: Das Collegium Musicum selbst hat vor wenigen Wochen eine beeindruckende Dokumentation über die letzten 20 Jahre ihrer Geschichte vorgelegt*. Zweihundert Seiten dick, finden sich darin sämtliche Konzertkritiken aus der Zeit zwischen 1990 und 2009 und eben auch der Leserbrief von Herrn Hintze.
Herr Murrt: Und was hat der Brief bewirkt? Nichts! Nichts, weil der Schlaf der Ungerechten tief und schwer zu stören ist. Das Bad Honnefer Rathaus befindet sich im kulturpolitischen Tiefschlaf. Ein städtisches Schlaflabor steht am Rathausplatz Nr. 1.
Herr Kurt: Zugegeben, hellwach ist man, was das kulturelle Engagement betrifft, im Rathaus nicht gerade. Immerhin hat das Aalkönigskomitee gerade über 30.000 Euro an heimische Vereine und Institutionen ausgeschüttet.
Herr Murrt: Wovon der Löwenanteil an den Stadtjugendring und an Sportvereine gegangen ist. Aber auch hier wieder freiwillige private Unterstützung und ehrenamtliches Engagement. Und ein zufriedenes Schulterklopfen der Stadt. Nein, nein, Kulturförderung sieht anders aus.
Herr Kurt: Wenn ich Sie so reden höre, denke ich, Sie sollten in die Politik gehen.
Herr Murrt: Wollen Sie mich beleidigen?
Herr Kurt: Nein, aber einen streitbaren Vertreter ihrer Interessen könnte die Kultur in Bad Honnef gut gebrauchen.
Es hat aufgehört zu regnen. Herr Murrt klappt den Regenschirm ein. Männer in weißen Kitteln schieben Betten aus dem Rathaus. Die Beamten unter den Decken tragen Gehörschutz und schlafen.
Herr Murrt (nachdenklich): Aber wer wird mir zuhören?
Herr Kurt: Ich finde, Sie haben etwas Farbe bekommen. Schönen Tag noch.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei bei Rhein-Onliner, dem Magazin für eine bessere Welt.
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*Die Dokumentation „Collegium Musicum Bad Honnef – 1990 bis 2009“ ist für 10 Euro zu beziehen bei Adelheid aufm Kampe, Telefon 02224-6576
Herr Kurt: Sie sehen blass aus.
Herr Murrt: Und Sie versprühen ja wieder eine unerträglich gute Laune. Ich hab schon zu meiner Frau gesagt: Der Kurt, der ist bestimmt gedopt.
Herr Kurt: Ach was, ich ernähre mich nur gesund, viel Obst, Gemüse und Jogurt. Und ich genieße die lebendige Kultur in der Stadt.
Herr Murrt: Um Gottes Willen! Kultur in der Stadt, dass ich nicht lache! Bleiben Sie bei Ihrem Jogurt, da ist in einem Becher mehr aktive und lebendige Kultur drin als in der ganzen Stadt.
Herr Kurt: Die Stadt hat, Verzeihung, ein ausgesprochen reges Kulturleben. Denken Sie nur an die zahlreichen Vereine, die Orchester, Galerien und Museen.
Es beginnt zu regnen. Herr Murrt spannt seinen Schirm auf.
Herr Murrt: Ich weiß nicht, von welcher Stadt SIE reden. In Bad Honnef jedenfalls steht die Kultur genauso im Regen, wie Sie jetzt. Fördermittel: Fehlanzeige. Städtische Unterstützung: Auf Alibiniveau reduziert. Und Sponsoren: Nicht in Sicht. Die Förderung der Kultur in unserem Land ist vor allem Aufgabe der Städte und Gemeinden. Das allerdings ist noch nicht bis ins Rathaus vorgedrungen. Oder aber man entzieht sich jeder kulturpolitischen Auseinandersetzung mit dem gepflegten Hinweis auf knappe Kassen. Aber auch in Zeiten knapper Kassen ist Kulturförderung keine freiwillige Leistung.
Herr Kurt: Ich wusste gar nicht, dass Sie sich für Politik interessieren.
Herr Murrt: Papperlapapp. Mit Politik kann man keine Kultur machen. Die Politik muss aber für die notwendigen Rahmenbedingungen sorgen. Sie muss die Mittel zur Verfügung stellen. Schauen Sie sich doch nur den Haushaltsplan für das laufende Jahr an. Da gibt es etwas Geld für die Musikschule. Aber auch nur um das Angebot für junge Familien attraktiver zu gestalten. Mit Kulturarbeit hat das nichts zu tun.
Herr Kurt: Aber vielleicht kann man mit Kultur Politik machen.
Herr Murrt geht einen Schritt auf Herrn Kurt zu. Sie stehen nun beide unter dem Regenschirm.
Herr Murrt: Mit Kultur Politik machen…? Sie meinen doch nicht etwa…
Herr Kurt schweigt.
Herr Murrt: Sie glauben… Sie wollen doch nicht etwa sagen, dass… Nein, das ist ja abenteuerlich. Das ist unglaublich. Die Politik verhindert die Kultur, um nicht von der Kultur behindert zu werden? Aberwitzig! – Aber plausibel: Kultur ist unberechenbar, Kultur ist nicht nur schön und erbaulich, sie ist zuweilen auch unbequem und provokant. Sie polarisiert, sie irritiert und stört so manche Kreise… 28.000 Euro hat die Stadt Bad Honnef in diesem Jahr für Werbe- und Marketingmaßnahmen veranschlagt. Aber das Collegium Musicum muss sogar noch die Saalmiete fürs Kurhaus selbst bestreiten.
Herr Kurt: Richtig! Das ist sogar Politikern aus dem Bundestag aufgestoßen. Bereits vor Jahren hat der ehemalige Generalsekretär der CDU, Peter Hintze, eine „schöne Geste“ der Stadt gefordert, dem Orchester als musikalischem Aushängeschild der Stadt die Saalmiete zu erlassen.
Herr Murrt: Sie wissen aber Bescheid! Wo haben Sie das denn her?
Herr Kurt: Das Collegium Musicum selbst hat vor wenigen Wochen eine beeindruckende Dokumentation über die letzten 20 Jahre ihrer Geschichte vorgelegt*. Zweihundert Seiten dick, finden sich darin sämtliche Konzertkritiken aus der Zeit zwischen 1990 und 2009 und eben auch der Leserbrief von Herrn Hintze.
Herr Murrt: Und was hat der Brief bewirkt? Nichts! Nichts, weil der Schlaf der Ungerechten tief und schwer zu stören ist. Das Bad Honnefer Rathaus befindet sich im kulturpolitischen Tiefschlaf. Ein städtisches Schlaflabor steht am Rathausplatz Nr. 1.
Herr Kurt: Zugegeben, hellwach ist man, was das kulturelle Engagement betrifft, im Rathaus nicht gerade. Immerhin hat das Aalkönigskomitee gerade über 30.000 Euro an heimische Vereine und Institutionen ausgeschüttet.
Herr Murrt: Wovon der Löwenanteil an den Stadtjugendring und an Sportvereine gegangen ist. Aber auch hier wieder freiwillige private Unterstützung und ehrenamtliches Engagement. Und ein zufriedenes Schulterklopfen der Stadt. Nein, nein, Kulturförderung sieht anders aus.
Herr Kurt: Wenn ich Sie so reden höre, denke ich, Sie sollten in die Politik gehen.
Herr Murrt: Wollen Sie mich beleidigen?
Herr Kurt: Nein, aber einen streitbaren Vertreter ihrer Interessen könnte die Kultur in Bad Honnef gut gebrauchen.
Es hat aufgehört zu regnen. Herr Murrt klappt den Regenschirm ein. Männer in weißen Kitteln schieben Betten aus dem Rathaus. Die Beamten unter den Decken tragen Gehörschutz und schlafen.
Herr Murrt (nachdenklich): Aber wer wird mir zuhören?
Herr Kurt: Ich finde, Sie haben etwas Farbe bekommen. Schönen Tag noch.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei bei Rhein-Onliner, dem Magazin für eine bessere Welt.
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*Die Dokumentation „Collegium Musicum Bad Honnef – 1990 bis 2009“ ist für 10 Euro zu beziehen bei Adelheid aufm Kampe, Telefon 02224-6576
colonna - 27. Jan, 11:24